Turbine-Heldin Anna Sarholz: „Schröders Lebenswerk wird mit Füßen getreten“

Vor 13 Jahren stieg sie als 17-Jährige zur Matchwinnerin im Champions-League-Finale auf für Turbine Potsdam. Heute ist Anna Felicitas Sarholz 31, Rettungssanitäterin und Standby-Torhüterin beim Regionalligisten Viktoria 89. Vor dem Topspiel gegen Union am Sonntag spricht sie über die Lage ihres Ex-Klubs und das Gipfeltreffen.

Ihr Gesicht wird für immer für den größten Erfolg von Turbine Potsdam stehen: Anna Felicitas Sarholz (31). Die damals 17-jährige Torhüterin wurde 2010 zur Heldin im Champions-League-Endspiel gegen Lyon, als sie im Elfmeterschießen zwei Schüsse parierte und einen Elfmeter verwandelte. Nach ihrer Profikarriere arbeitete die gebürtige Kölnerin als Torwarttrainerin beim Berliner AK, RB Leipzig und betrieb bis 2021 eine Fußballschule. Inzwischen lebt Sarholz in Dessau und fährt Rettungswagen. Seit Februar 2023 ist sie dritte Torhüterin beim Frauen-Regionalligisten FC Viktoria 89. Im FuWo-Interview spricht sie über Turbines Absturz, ihre Karriere und das Topspiel gegen Union (Sonntag, 14 Uhr).

Fußball-Woche: Frau Sarholz, fangen wir mit einem aktuellen Thema an: Turbine Potsdam hat in dieser Woche eine Crowdfunding-Aktion gestartet, um den Verein nach dem Wegfall des Hauptsponsors zu retten. Wie besorgt schauen Sie dieser Tage auf Ihren Ex-Klub?
Anna Felicitas Sarholz: „Es tut mir in der Seele weh und vor allem für Bernd Schröder tut es mir leid, auch wenn es kein Geheimnis ist, dass wir nicht immer das beste Verhältnis hatten. Sein Lebenswerk wird nun mit Füßen getreten. Aber: Es überrascht mich leider auch nicht, dass es inzwischen läuft, wie es läuft. Schon, als Turbine noch Erfolge gefeiert hat, sind Fehler gemacht worden.“

Zum Beispiel?
Sarholz: „In meinen Augen hat man es verpasst, Turbine in die neue Zeit zu führen. Man hat sich zum Beispiel nicht für größere Sponsoren geöffnet, um Schritt zu halten mit der Entwicklung im Frauenfußball. Wir haben 2010 im Champions-League-Finale mit einem Brust­sponsor aus Ludwigsfelde gespielt – bei allem Respekt. Aber schon da hätte man bestimmt mehr Geld verdienen können. Andere Vereine wie Leipzig oder Union haben heute Anja Mittag, Viola Odebrecht oder Jennifer Zietz eingebunden in verantwortlichen Positionen, dieses gebündelte Potenzial hätte man bei Turbine auch nutzen können. Jetzt spielt man in der 2. Liga und kämpft ums Überleben – das wird solch einem ehrwürdigen Traditionsverein nicht gerecht.“

Mit Turbine haben Sie im Champions-League-Finale Ihren größten Erfolg gefeiert. Ihre Karriere ist danach nicht wirklich linear verlaufen und im Prinzip schon 2015 mit Ihrem Abschied von Turbine nach vier Champions-League- und 41 Bundesliga-Spielen geendet. Stört Sie das mit etwas Abstand oder blicken Sie zufrieden zurück?
Sarholz: „Ich bin absolut fein mit mir und meinem sportlichen Wirken. Ich würde mit dem Wissen von heute hier und da vielleicht einen anderen Ton anschlagen, inhaltlich würde ich aber alles wieder so machen. Natürlich hätte man mehr erreichen und länger auf Top-Niveau spielen können, aber man muss sich am Ende vor niemandem rechtfertigen außer einem selbst. Und das kann ich. Es ist am Ende auch nur Fußball. Das ist der Stoff, der zum Träumen da ist, aber es gibt 1000 Dinge im Leben, die wichtiger sind. Mir hat auch die zweijährige Auszeit nach Corona gut getan – umso mehr Spaß habe ich jetzt wieder am Fußball.“

Würden Sie trotzdem sagen, dass der Erfolg etwas zu früh kam? Als Sie im Finale der Königsklasse zwei Elfmeter gehalten und den entscheidenden selbst verwandelt haben, waren Sie eine Zwölftklässlerin …
Sarholz: „Auf jeden Fall. Als 17-jähriges Kind die Champions League zu gewinnen, ist das Letzte, was man braucht. Am nächsten Tag habe ich mich selbst auf jeder Titelseite angegrinst, auf diesen Hype kann man sich nicht vorbereiten. Aber am Ende des Tages bin ich Champions-League-Siegerin, und das kann nicht jeder von sich behaupten.“

Seit Februar 2023 gehören Sie nun zu Viktoria, wo Sie sich als dritte Torhüterin für den Notfall zur Verfügung stellen. Was hat Sie an dem Projekt gereizt?
Sarholz: „Ich war im Urlaub, als mein Telefon geklingelt und mein alter Berater angerufen hat, der mit Viktoria zusammengearbeitet hat. Da wusste ich: Der hat doch wieder irgendeine Idee. (lacht) Ich hatte natürlich schon mitbekommen, was bei Viktoria passiert und fand das Projekt cool. Mir fehlt zwar die Zeit, um regelmäßig zu trainieren. Ich lebe in Dessau und habe als Rettungssanitäterin teilweise 24-Stunden-Dienste. Aber ich bin unglaublich gerne beim Training, ich mag die Mädels und mag es, ein Teil davon zu sein.“

Am Sonntag kommt es zum frühen Gipfeltreffen in der Liga gegen den 1. FC Union. Gibt es einen Favoriten in diesem Spiel und entscheiden am Ende die direkten Duelle über die Meisterschaft oder die Spiele gegen die vermeintlich kleinen Gegner?
Sarholz: „Bei Union ist viel passiert im Sommer, die Frauen zu Profis zu machen, ist ein wichtiger Schritt für den gesamten Frauenfußball. Dass sie mitunter als Favorit gesehen werden, nimmt etwas Druck von uns. Aber ich erwarte enge Duelle, wo die Tagesform entscheidet. Und wenn du am Ende hoch willst, musst du alle Spiele gewinnen, ganz einfach.“

Und es ist ja nicht so, dass bei Viktoria nichts passiert. Vor wenigen Tagen wurde die niederländische Europameisterin und Vizeweltmeisterin Anouk Dekker verpflichtet. Machen solche Spielerinnen die Kabine mit ihrer bloßen Anwesenheit besser?
Sarholz: „Solche Spielerinnen beeindrucken den Gegner, aber sie machen natürlich auch was mit der eigenen Mannschaft. Jeder will sich vor ihnen beweisen, jeder kann von ihnen lernen. Das kann eine coole Eigendynamik annehmen.“

Interview: Steven Wiesner / Titelfoto: Kai Heuser

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