„Profi zu sein, ist ein großes Privileg“
Andreas „Zecke“ Neuendorf, Liebling der Massen
Autor: Michael Jahn
Es war der 15. März 2000 – ein großer Tag für Hertha BSC. Die Mannschaft von Cheftrainer Jürgen Röber traf in der Champions League im imposanten Stadion Camp Nou auf den großen FC Barcelona. Nach 59 Minuten winkte Röber den damals 25-jährigen Andreas Neuendorf, der auf der Ersatzbank hockte, heran und schickte ihn für Marko Rehmer auf den Rasen.
Neuendorf sagte später: „Wir hatten gegen Barcelona gefühlt fünf Prozent Ballbesitz und ich habe vielleicht ein, zweimal den Ball berührt.“ Beim Gegner traf Neuendorf damals etwa auf den Brasilianer Rivaldo, auf den Holländer Patrick Kluivert oder den Spanier Xavi – allesamt Weltklasseleute. Hertha unterlag mit 1:3 und hielt sich in der Riesenschüssel Camp Nou immerhin achtbar. Neuendorf aber hatte später eine exklusive Meinung: „Die Champions League habe ich nicht so sehr gemocht.“ Viermal kam er immerhin 1999/2000 in der Königsklasse zum Einsatz, meist als Einwechselspieler.
Wenn Neuendorf, der damals noch nicht offiziell als Fußball-Profi den Namen „Zecke“ auf dem Trikot tragen durfte, über seine Lieblingsspiele und Lieblingsstadien berichtet, erzählt er immer von Hertha BSC und vom Berliner Olympiastadion. „Als ich in den Katakomben vom Olympiastadion stand, die Leute gehört habe, wie sie die Hymne ‚Nur nach Hause‘ singen, die letzten zehn Meter ging, dann klack-klack-klack die Treppe hoch zum Rasen – das ist doch absolute Gänsehaut.“
Die Affinität von Neuendorf, einem vielseitigen Mittelfeldmann, zu Hertha BSC ist groß. Allerdings nahm er den Umweg über Bayer Leverkusen, ehe er beim Hauptstadtklub eine feste Größe wurde und dort seine Fußball-Liebe fand. Der gebürtige Berliner, mit der sprichwörtlichen „Berliner Schnauze“ ausgestattet, spielte bei Stern 1900, bei Blau-Weiß 90 und den Reinickendorfer Füchsen. Dort entdeckten ihn Späher von Leverkusen und der umtriebige Bayer-Manager Reiner Calmund holte den damals 18-Jährigen zum Bundesligaklub.
Kurios und bezeichnend für den unerschrockenen Typ Neuendorf ist eine Episode aus der Bayer-Kabine. An seinem ersten Tag bei Bayer 04 setzte er sich ausgerechnet auf den Platz von Nationalspieler Bernd Schuster, einem der bekanntesten deutschen Spieler in dieser Zeit. Seine neuen Teamkameraden warnten den Neuling, aber der blieb sitzen. Als Schuster, bekannt als der „blonde Engel“, in die Kabine kam, sagte Neuendorf kess: „Ich habe Dir nur den Platz warm gehalten.“
Später, bei einem Waldlauf, kam Neuendorf auch in Leverkusen zu seinem Spitznamen „Zecke“, den er danach so liebte. Im Wald wurde er von einer Zecke gebissen und musste sogar wegen einer Blutvergiftung ins Krankenhaus. Stürmer Ulf Kirsten verpasste dem vorlauten Berliner dann den Namen „Zecke“. Kommentar Neuendorf zum Zecken-Biss: „Zum Glück war es kein Schwein!“
1998 kehrte Neuendorf nach Berlin zurück und bekam einen Vertrag bei Hertha. Zwischen 1998 und 2000 und noch einmal zwischen 2001 und 2007 – ein Jahr musste er trotz Widerstands wegen der Vertragssituation nochmal nach Leverkusen zurück – kam Neuendorf auf 149 Erstligaspiele für Hertha und schoss 16 Tore. Seine Art zu spielen, engagiert und oft auch rustikal, kam glänzend an bei den Fans, die ihn schnell zu einem Publikumsliebling machten. Zudem suchte er oft den direkten Kontakt zu den Anhängern, kam bodenständig daher und musste sich dabei nicht verstellen. Eben Zecke pur. Ehrlichkeit war ihm immer wichtig.
Bald wollte er seinen Spitznamen kultivieren und am liebsten auf dem Trikot tragen, doch die Deutsche Fußball Liga (DFL) hatte etwas dagegen. So etwas war nicht üblich. Doch der pfiffige Neuendorf fand eine Lösung. Er versuchte sich außerhalb des Rasens als Künstler und malte zwei Bilder. Die Titel hießen „Gesicht 2001“ und „Krikelkrakel 2001“. Neuendorf ließ sie mit viel Brimborium versteigern. Aus dem Spitznamen wurde so ein Künstlername, der im Personalausweis eingetragen wurde. Schließlich gab auch die DFL nach und fortan stand „Zecke“ auf dem Trikot des Herthaners. Das ist sein Markenzeichen geblieben.
Noch einmal, von 2007 bis 2010, verließ er Berlin und führte den FC Ingolstadt von der Regionalliga bis in die 2. Bundesliga. Danach kam er bei Herthas U23 zum Einsatz und galt als Standby-Profi. In der 2. Bundesliga gönnte ihm der damalige Hertha-Coach Markus Babbel einen wunderschönen Abschied. Am 12. Dezember 2010 spielte Hertha vor 45.000 Zuschauern im Olympiastadion gegen Erzgebirge Aue, gewann 2:0 und Babbel wechselte Zecke in der 89. Minute für den Brasilianer Ronny ein. Die Fans in der Ostkurve feierten Zecke bei seinem letzten Spiel als Profi minutenlang und begeistert.
Schnell war Zecke klar, dass er Trainer werden wollte. Mit dem BFC Preussen hatte er Erfolg im Amateurlager, aber ab 2015 arbeitete er in der Hertha-Fußball-Akademie. Er trainierte die U15, später sehr erfolgreich die U17 und seit Sommer 2019als Cheftrainer die U23. Dort stand er in der Anfang Juni wegen des Corona-Virus abgebrochenen Regionalliga-Saison allein neunmal an der Tabellenspitze.
Zecke sagte einmal von sich, als Spieler auch oft faul gewesen zu sein und nicht alles aus sich herausgeholt zu haben. Heute vermittelt er seinen Schützlingen deshalb die Botschaft, sich immer voll ins Zeug zu legen. Zecke: „Es lohnt sich. Profi zu sein, ist ein großes Privileg und vielleicht die schönste Zeit im Leben.“
Jetzt bildet er sich auch selbst weiter und hat die Zulassung für den 67. Trainer-Lehrgang des DFB. Man darf gespannt sein, wie sein weiterer Weg verläuft.
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