Vom Zaunkönig zum Fußball-Lehrer in spe

Sebastian Bönig blieb Union nach seiner aktiven Karriere treu

Autor: Matze Koch

Händedruck zur Vertragsverlängerung nach dem Abstieg: Sebastian Bönig (r.) im Mai 2005 mit dem damaligen Union-Trainer Frank Lieberam. Foto: imago images/Koch

Nach dem letzten Bundesligaspiel des 1. FC Union gegen Fortuna Düsseldorf (3:0) schlenderte Sebastian Bönig entspannt über den Parkplatz vor der Haupttribüne im Stadion An der Alten Försterei. Den Co-Trainer der Profis zog es zur Einfahrt, wo rund 60 Anhänger der Eisernen warteten. Sie wollten in Zeiten der Corona-Pandemie einen letzten Blick auf ihre Lieblinge vor der Sommerpause werfen.
Noch bevor sich Bönig zu einem kurzen Plausch mit Abstand eingefunden hatte, stimmten Anhänger bereits Gesänge an, die mit der aktiven Vergangenheit des inzwischen 38-Jährigen zu tun haben. „Bönig auf den Zaun“ und „DyDyDyDy…scheiß Dynamo“ war da zu hören. Sie stammen aus jener Zeit, als Bönig zwischen Januar 2005 und Sommer 2009 das Union-Trikot trug.

Bönig stieg damals zum „Zaunkönig“ von Köpenick auf. Seine Jubelarien als Vertreter der Spieler auf dem Zaun vor den Union-Fans auf der Waldseite sind offensichtlich unvergessen. Bönig tastete sich in den 2000er Jahren mehrfach hoch, er stand sogar auf der Spielfeld-Abgrenzung. Mit seinen Händen fand er Halt im Fangzaun beziehungsweise dessen Befestigung. „Auf einmal saß ich irgendwann da oben. Und die Mannschaft hat mich immer wieder hochgeschickt“, sagte Bönig.
Die Anti-Dynamo-Gesänge, an denen sich Bönig beispielsweise 2008 nach einem Sieg gegen Dynamo Dresden (4:2) aktiv beteiligte, gehörten irgendwann zum Feier-Ritual. Sie bezogen allgemein auch andere Teams mit diesem „Vornamen“ ein und brandeten auch in den 2010er Jahren immer wieder auf, als Bönig längst zum Trainerstab in Köpenick gehörte.

Daran war in Bönigs aktiver Union-Phase noch nicht zu denken. Nach 44 Zweitligaspielen für LR Ahlen zog es Bönig im Januar 2005 unter Trainer Frank Lieberam zu den Eisernen. Den Abstieg in die damals viertklassige NOFV-Oberliga konnte auchdie Neuverpflichtung nicht verhindern.

Zaunkönig: Sebastian Bönig feiert mit den Fans im Mai 2008 das 4:2 gegen Dresden.

Doch der gebürtige Erdinger fühlte sich wohl im Osten der Stadt. Sein unbändiger Kampfgeist und die Bereitschaft, 2005 mit Union den schweren Weg in die Viertklassigkeit anzutreten, machten ihn populär. „Ich habe von Anfang an gemerkt, was für ein Potenzial in dem Verein steckt. Der Zusammenhalt der Unterstützer und Fans des Klubs war riesig“, sagte Bönig. „Das habe ich jeden Tag richtig aufgesaugt. Ich hatte 2005 viel bessere Angebote. Aber ich habe gespürt, dass Union viel weiter nach oben gehört.“

Bönig täuschte sich nicht. 2006 kehrte der Klub in die drittklassige Regionalliga Nordost zurück. 2008 klappte es mit der Qualifikation für die neu eingeführte 3. Liga. 2009 gelang als Meister der Aufstieg in die 2. Bundesliga.

Unter Uwe Neuhaus, der 2007 Trainer bei den Eisernen wurde, verlor Bönig allerdings zunehmend an Einfluss. In der Saison 2007/08 musste Bönig die Kapitänsbinde abgeben, die er 2006/07 getragen hatte. Bönig gehörte nicht mehr zu den Stammkräften. Er nahm das jedoch klaglos hin. Er verzichtete auch auf einen vorzeitigen Wechsel, obwohl der defensive Mittelfeldmann im Dezember 2008 die Freigabe erhalten hatte.

So erlebte er immerhin noch den Aufstieg in die 2. Bundesliga und den Sieg im Landespokal mit. Nach dem Endspiel am 6. Mai 2009 gegen Tennis Borussia (2:1) nahm der beliebte Fußballer als Kapitän der Reserve die Trophäe entgegen. Endgültig zur Union-Legende wurde Bönig, der in 134 Pflichtspielen neun Tore erzielte, durch sein freiwilliges Karriereaus im Sommer 2009 – im Alter von gerade einmal 27 Jahren. „Wenn ich bei Union hätte weiterspielen können, wäre es nicht dazu gekommen. Aber ich stehe zu meinem Wort, dass nach Union eigentlich nichts mehr kommen kann“, wiederholte Bönig auch mit einigen Jahren Abstand seine Aussage von 2009, die mit dem Verzicht auf andere Angebote einherging.

Aufstiegsbier: Sebastian Bönig (r.) bejubelt mit Daniel Teixeira im Mai 2006 nach dem 3:1 gegen Falkensee-Finkenkrug die Rückkehr des 1. FC Union in die Regionalliga Nordost. Foto: Koch

Am 5. Juni 2009 wurde Bönig von rund 100 Fans mit einer Fahrt auf dem Union-Dampfer „Viktoria“ und einer Party in der damals gerade wieder eröffneten Freiluftgaststätte „Mecklenburger Dorf“ nahe der Köpenicker Altstadt feierlich verabschiedet.

Bönig übernahm in seiner Heimatstadt Erding eine Indoorsoccer- und Beachvolleyball-Halle. Im Rahmen von Unions Zweitligapartie bei 1860 München (0:2) am 9. Mai 2010 fand im Ballhaus Erding das „Exil-Unioner-Treffen 2010“ statt. Leider hatte Bönig nicht immer so trinkfreudige Gäste. Die überhöhte Miete machte Gewinne unmöglich. Bönig musste irgendwann einen Schlussstrich ziehen und sich neu orientieren.

Bei Union hatte man ihn nicht vergessen. Präsident Dirk Zingler stand zu seinem Wort, dass für Bönig die Tür immer offen stehen würde. Im Juli 2011 begann der verlorene Sohn ein Praktikum in der Union-Geschäftsstelle. Am 1. Januar 2012 erhielt Bönig eine Festanstellung. Er wurde als Nachwuchstrainer für das Projekt „Union in Fahrt“ verantwortlich. 2013/14 hatte Bönig den Posten des Co-Trainers der Regionalliga-Elf unter Robert Jaspert inne. Am Ende der Spielzeit übernahm er kurz die U19. Seit 2014 erlebte Bönig als Assistent des Profikaders mehrere Cheftrainer: Norbert Düwel, Sascha Lewandowski, zwei Mal André Hofschneider, Jens Keller und Urs Fischer. Bönig ist der Mann für das Training von Standardsituationen.

Eines Tages könnte er selbst das Sagen haben. Seit dem 27. Mai 2019 absolviert Bönig beim DFB die Ausbildung zum Fußball-Lehrer. Diese ging wegen Corona in die Verlängerung. Fünf Absolventen inklusive Bönig waren bis Ende Juni ja noch in der 1. und 2. Bundesliga beschäftigt.

Bönig kann deswegen derzeit nicht völlig abschalten. Er muss auch im Urlaub pauken. Ende des Monats stehen seine Abschlussprüfungen an. Die Unterlagen dafür nahm er mit in die Ferien. Am Tag nach dem letzten Spiel gegen Düsseldorf schleppte Bönig drei dicke Aktenordner in sein Auto.

Trainerassistent von Urs Fischer in der Bundesliga: Sebastian Bönig (r.) im August 2019 beim Vorbereitungsspiel der Eisernen gegen Celta Vigo. Foto: imago images/contrast

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