Der Berliner Fußballlehrer Volkan Uluc spricht im FuWo-Interview über das Länderspiel zwischen Deutschland und der Türkei und warum er jetzt den Sohn von Didier Drogba in der vierten belgischen Liga trainiert.
Beim belgischen Viertligisten UR La Louvière Centre hat Volkan Uluc (53) im Sommer sein viertes Traineramt außerhalb Deutschlands angetreten (davor Shahin Busher/Iran, Al-Najma/Bahrein und Karaman FK/Türkei), nachdem der Berliner Fußballlehrer mit türkischen Wurzeln seinen Erfahrungsschatz zuvor überwiegend im Bereich des Nordostdeutschen Fußball-Verbandes (NOFV) erworben hat (unter anderem Berliner AK, BFC Dynamo, Carl Zeiss Jena, Lok Stendal, Viktoria 89, Sachsen Leipzig, Alemannia 90, SV Yesilyurt, Spandauer SV). Die FuWo sprach mit Uluc über seine neue Aufgabe und das kommende Länderspiel Deutschland gegen die Türkei (Sonnabend, 20.45 Uhr, Olympiastadion).
Fußball-Woche: Herr Uluc, was hat Sie nach Belgien verschlagen?
Volkan Uluc: „Mich hat ein neues Land, eine neue Liga, ein neues Umfeld gereizt. Der Kontakt entstand durch einen ehemaligen Spieler, der bei Carl Zeiss Jena mal beim Probetraining war, der spielt zurzeit bei La Louvière. Für mich war Belgien auch deshalb interessant, weil ich hier die Möglichkeit habe, innerhalb kurzer Zeit nach Paris, Lille, Lüttich, Brügge, Genk oder Anderlecht zu fahren, um die jeweiligen Akademien und den Profibereich zu beobachten. Aber meine Hauptaufgabe ist natürlich La Louvière. Wir sind in einem Übergangsjahr, müssen gewisse Strukturen und eine Identität reinbekommen. Die Aufgabe macht mir Spaß.“
Was ist La Louvière für ein Klub?
Uluc: „In Belgien gibt es nicht diese Vereinsstruktur wie in Deutschland, hier gehören die Klubs Privatpersonen. Den Besitzer von La Louvière werden Sie vielleicht kennen: Es ist Serge Aurier, der aktuell bei Nottingham Forest in der Premier League spielt. Er hat den Klub im Sommer übernommen und möchte ihn peu à peu aufbauen.“
Wie ist das Niveau der Liga?
Uluc: „Die ersten fünf, sechs Mannschaften haben Regionalliga-Niveau, alle anderen würde ich darunter ansiedeln, dazu gehören auch wir.“
Wie läuft die Verständigung?
Uluc: „Ich habe einen türkischen Assistenztrainer, der aus Belgien kommt, er hilft beim Übersetzen. Einige Spieler sprechen deutsch, viele englisch, die wichtigen Fußball-Schlagwörter eignet man sich schnell an. Die Elf ist ein bunter Haufen, das sind tolle Jungs. Isaac Drogba, der Sohn von Didier Drogba, spielt auch bei uns. Es ist eine sehr interessante Gruppe, Wille und die Bereitschaft sind bei allen da.“
Belgien bringt immer wieder großartige Fußballer hervor. Sind Sie dem Erfolgsgeheimnis schon auf die Spur gekommen?
Uluc: „Belgien hat elf Millionen Einwohner, ist etwas größer als Brandenburg und steht in der FIFA-Weltrangliste auf Rang fünf, das ist außergewöhnlich! Das, was Deutschland gerade mit der Umstrukturierung im Kleinfeldbereich macht, wird in Belgien, Holland und Frankreich schon lange umgesetzt. Hier steht der Spieler im Mittelpunkt der Ausbildung, es gibt viel mehr Ball- und Spielaktionen. Die Trainer legen im Jugendbereich nicht so viel Wert auf Körperlichkeit und Robustheit, stattdessen wird geguckt, was kann der Spieler mit dem Ball. Auch bezüglich der Trainerausbildung und Weiterbildung gibt es Riesenunterschiede. In Deutschland muss ich mich als Fußballlehrer selbst um meine Weiterbildung kümmern. In Belgien bekommen sogar Trainer mit der höchsten Lizenz Angebote, um in Top-Vereinen und bei Top-Trainern an Mentoring-Programmen teilzunehmen.“
Blicken wir kurz auf die Türkei, die sich zum dritten Mal hintereinander für die EM qualifizieren konnte. Wie sehen Sie die türkische Auswahl im Vergleich zum DFB-Team?
Uluc: „Vincenzo Montella, der Stefan Kuntz als Trainer abgelöst hat, kennt die türkische Liga, unter ihm wurde der wichtige Sieg in Kroatien und der entscheidende Quali-Erfolg gegen Lettland erzielt. Im direkten Vergleich mit Deutschland gab es in 21 Spielen nur drei Siege für die Türkei, zuletzt ein 3:3. Es entwickelt sich etwas, aber man muss erst noch unter Beweis stellen, dass man mit den Top-Nationen mithalten kann. Das Spiel in Berlin wird ein Highlight und ich hoffe auf eine friedliche Atmosphäre, gerade in der jetzigen Zeit.“
Die Kapitäne der beiden Kontrahenten heißen Ilkay Gündoğan und Hakan Çalhanoğlu. Was löst das bei Ihnen aus?
Uluc: „Das sind zwei Spieler, die zum größten Teil in Deutschland ausgebildet wurden. Beide haben türkische Wurzeln, das sind zwei Top-Spieler, allein diese zwei Namen garantieren, dass es sich lohnt, ins Stadion zu gehen.“
Die Euro 2032 findet in der Türkei und Italien statt. Wird die Türkei bis dahin ein ernstzunehmender Titelkandidat sein?
Uluc: „Ich bin immer sehr kritisch mit der Türkei. In Belgien, um nochmal den Spagat zu machen, hatte ein Spieler wie Kevin De Bruyne mit 20 Jahren schon 100 Ligaspiele in der Jupiler League absolviert. Da kommen türkische Spieler nicht heran, dabei ist Spielzeit das Allerwichtigste. Die Türkei profitiert davon, dass die Spieler zum größten Teil in Deutschland, Frankreich und Italien ausgebildet werden. Wir haben einen Pool an Talenten in der Türkei, aber den müssen wir besser ausnutzen.“
Interview: Alex Heinen / Titelfoto: Matze Koch