Timmy Thiele (31) ist einer der teuersten Spieler der Drittliga-Geschichte und der Königstransfer von Energie Cottbus. Vor der Relegation spricht der Berliner über Jürgen Klopp, Fangesänge in England und Arbeitslosigkeit.
Schon jetzt hat Timmy Thiele eine bewegte Karriere hinter sich. Im Nachwuchs kickte der Berliner für den TSV Rudow, Hertha BSC, SV Tasmania und Tennis Borussia, ehe er los zog in die weite Welt des Fußballs und unter anderem 188 Drittliga-Spiele (44 Tore) und 61 Regionalliga-Spiele (18 Tore) machte. Nun spielt er mit Energie Cottbus um den Drittliga-Aufstieg in zwei Relegationsspielen gegen die SpVgg Unterhaching (Mittwoch 20.30 Uhr und Sonntag 13 Uhr).
Fußball-Woche: Herr Thiele, in Ihrem Arbeitszeugnis für Energie Cottbus stehen bisher doppelt so viele Gelbe Karten (4) wie erzielte Tore (2). Wir starten gleich mal mit einer provokanten, aber nicht ganz ernst gemeinten Frage: Sind das Daten eines Fehleinkaufs?
Timmy Thiele: (lacht) „Auf gar keinen Fall. Ich kenne meine Qualitäten und meinen Anteil am Erfolg der Mannschaft.“
Werden wir mal seriöser und inhaltlicher: Zum Anforderungsprofil eines modernen Stürmers gehört auch sein Auge für den Mitspieler sowie sein Coaching in vorderster Linie. Hier waren Sie bisher sehr wertvoll.
Thiele: „Meine Wichtigkeit fürs Team ist mir bewusst, aber natürlich muss sie letztlich auch von anderen Leuten bewertet werden. Ich gebe in jedem Fall immer mein Bestes, um meine Fähigkeiten einzubringen. Ich komme aus einer langen Leidenszeit, war ewig verletzt und musste behutsam wieder herangeführt werden. So war es auch besprochen mit ‚Pele‘ Wollitz.“
Claus-Dieter Wollitz hatte im Januar darauf hingewiesen, dass Sie keine Sofort-Hilfe sein, aber in einer etwaigen Relegation den Unterschied machen können. Nun stehen die Aufstiegsspiele bevor. Was kann denn der ‚Relegations-Thiele‘ besser als der ‚Liga-Thiele‘?
Thiele: „Böse Zungen behaupten, dass mir die großen Spiele liegen. Es war in meiner Vergangenheit häufig so, dass ich in den Spielen mit großem Augenmerk dem Druck standhalten und treffen konnte. Der Trainer kommt vom Fach und weiß, wie das Geschäft funktioniert. Es war genau so besprochen, dass ich aufgebaut werden soll, um am Ende der Saison ein Faktor sein zu können. Deshalb hoffe ich, dass nun wieder zuschlagen kann in der Relegation.“
Sie haben 2017 bereits eine Relegation gewonnen. Mit Jena haben Sie Viktoria Köln besiegt und beim 3:2-Auswärtserfolg ein Doppelpack erzielt. Worauf kommt es in diesen Ausnahmespielen an? Auf einen kühlen Kopf, auf ein brennendes Stadion? Entscheiden überhaupt noch fußballerische Inhalte oder geht es nur darum, wer es mehr will?
Thiele: „Es ist ein Mix aus allem. Wenn du wie wir in Cottbus in so einem Kessel spielst und unterstützt wirst von den Fans, trägt dich das. Das ist brutal. Auf der anderen Seite ist die Anspannung so immens, dass du einen kühlen Kopf brauchst, ansonsten bist du relativ schnell in Unterzahl oder machst eklatante Fehler, wenn du durchdrehst. Und am Ende ist es natürlich entscheidend, wer es mehr will. Und zwar nicht nur mündlich, sondern auf dem Platz. Es treffen zwei Meister aufeinander, die beide mit einem guten Gefühl aus einer erfolgreichen Saison kommen, anders als bei der Relegation zwischen Bundesliga und 2. Liga, wo die eine Mannschaft enttäuscht hat. Es geht also darum, wer gieriger und griffiger ist in den Zweikämpfen. Und natürlich brauchst du dann auch spielerisch bessere Ansätze und eine Idee, wenn du den Ball hast – und ich denke, die haben wir.“
Beschäftigt die Mannschaft eigentlich das Hin und Her in Unterhaching?
Thiele: „Ich finde es unfassbar unnötig. Aber ich habe auch zu den Jungs gesagt: Wen interessiert‘s!? Da kommt ein Gegner und den gilt es zu schlagen. Die Spieler von Haching müssen damit auch erstmal umgehen, nicht zu wissen, ob sie jetzt spielen oder nicht. Wir wissen, dass wir spielen – und wir haben Bock!“
Sie sind Regionalliga-Meister und vielleicht bald wieder in der 3. Liga – dabei waren Sie vor einem halben Jahr noch arbeitslos und wegen eines Adduktorenabrisses fast ein Jahr ohne Pflichtspiel. Verschwendet man während einer so langen Verletzungspause auch mal Gedanken an ein Karriereende?
Thiele: „Es war eine unfassbar schwere Zeit, aber ans Aufhören habe ich nicht gedacht, so war ich einfach noch nie. Auch bei meinen beiden Kreuzbandrissen davor war für mich klar, dass es irgendwann wieder gehen wird. Im März 2021 ist es passiert, aber es wurde leider erstmal falsch diagnostiziert, weshalb ich vier Monate mit Schmerzen weitergespielt und mir Folgeverletzungen zugezogen habe. Ich habe es immer wieder versucht, aber die Schmerzen haben mich auch im Kopf kaputt gemacht. Erst im Juni 2022 wurde ich dann operiert. Mein Vertrag bei Viktoria Köln lief gerade aus, ich war dann verletzt und danach anderthalb Monate arbeitslos. In dieser Zeit konnte ich dann in Meppen mittrainieren und dann gab es schon Kontakt zu Cottbus und anderen Vereinen. Wir haben dann die Entscheidung mit der Familie getroffen, wieder zurück in die Heimat Richtung Berlin zu wollen.“
War die Nähe zu Berlin das einzige Argument für Cottbus? Es war zu hören, dass Sie auch woanders hätten unterschreiben können, zum Beispiel beim BFC Dynamo?
Thiele: „In der Vierten Liga hätte ich rund um Berlin eigentlich alles machen können. Auch aus der 3. Liga hatte ich mehrere Angebote. Ausschlaggebend für Cottbus war dann die Idee und die Wertschätzung des Vereins sowie das gute Gespräch mit dem Trainer. Man hat mir hier einfach die Zeit gegeben, die ich woanders vielleicht nicht bekommen hätte nach dieser langen Zeit. Zudem ist Energie ein unfassbar großer Traditionsverein, der hier unten eigentlich nichts zu suchen hat, das muss man ganz klar so sagen.“
Cottbus ist nicht Ihr erster Traditionsverein, Sie haben auch schon für Bremen, Schalke, Dortmund, Aachen oder Kaiserslautern gespielt. Wollten Sie immer wieder was Neues kennenlernen oder wären Sie auch gerne ein romantischer One-Club-Man geworden?
Thiele: „Wenn ich mir meine Geschichte selber schreiben könnte, wäre sie defintiv anders. Aber eine Karriere ist manchmal geprägt von vielen äußerlichen Einflüssen, Verletzungen, Trainerwechseln und so weiter. Ich bin dankbar, dass ich so viele Menschen und Vereine kennenlernen durfte, aber es ist auch anstrengend. Mein Weg vom großen Talent bis runter in die Arbeitslosigkeit war so ereignisreich, das ist schon immens. Man kann sich Dinge im Leben nicht einfach aussuchen.“
Ein besonderer Mensch, den Sie kennenlernen durften, war Jürgen Klopp …
Thiele: „Ja, zusammen mit David Wagner hat mich ‚Kloppo‘ im Sommer 2013 zu dem Wechsel zu Dortmund II überredet. Als er mich angerufen hat, dachte ich erst, das ist irgendein Kumpel, der seine Stimme imitiert und mich veralbern will. Ich durfte mit den Profis trainieren, habe mir aber in der Sommervorbereitung gleich das Kreuzband gerissen.“
2015 sind Sie dann nach England gewechselt zum Drittligisten Burton Albion. Warum haben Sie das Abenteuer nach nur einem Jahr schon wieder beendet?
Thiele: „Das war eine geile Zeit. Unter meinem Trainer Jimmy Floyd Hasselbaink hatte ich ein tolles erstes Jahr, wir sind aufgestiegen, ich durfte FA Cup spielen, war Publikumsliebling und hatte sogar einen eigenen Song bei den Fans. Hasselbaink ist dann gewechselt und sein Nachfolger hat mir gesagt, er mag keine Deutschen. Das war‘s dann für mich.“
Über Jena ging es dann 2018 zum 1. FC Kaiserslautern.
Thiele: „Genau. Für eine halbe Million bin ich gewechselt. Man hat mir gesagt, dass ich damals einer der teuersten Transfers der Drittliga-Geschichte war. Vor mir waren nur noch Yussuf Poulsen und Joshua Kimmich – aber das ist ja unfair.“ (lacht)
Nun könnten Sie zurückkehren in Liga drei.
Thiele: „Ich habe vorher zu meinem Papa gesagt: Wenn ich in die Vierte Liga wechsele, werde ich auch Meister und steige direkt auf. Bis jetzt bin ich auf einem guten Weg – trotz bisher nur zweier Tore.“
Interview: Steven Wiesner / Titelfoto: Matze Koch