Lisa Währer: „Die Investoren-Diskussion im Fußball ist mir zu schwarz-weiß“

Lisa Währer (39) ist die Geschäftsführerin der Viktoria-Frauen. Im Zuge der Aufstiegsspiele zur 2. Liga gegen den HSV spricht sie über ein mögliches weiteres Jahr in der Regionalliga, die Kritik am Investoren-Projekt aus Lichterfelde und die Rivalen 1. FC Union und Hertha BSC.

Schon als Teenagerin hat Lisa Währer bei ihrem Heimatverein SC Nienstedten die erste Mädchenmannschaft mitgegründet. Vor einem Jahr trat die 39-Jährige dann auch als Mitbegründerin des neuen Frauenteams von Viktoria 89 in Erscheinung, wo sie bisher alleinige operative Geschäftsführerin war und nun von Ariane Hingst unterstützt wird. Seit 2018 ist die studierte Sportwissenschaftlerin und Marketing-Expertin in Berlin. Zuvor hat die Hamburgerin auch im Nachwuchsleistungszentrum vom HSV gearbeitet – Viktorias Gegner in den Aufstiegsspielen zur 2. Bundesliga. Das Hinspiel in Hamburg ging mit 0:3 verloren. Am Sonntag (17 Uhr, Sport1) steigt nun das Rückspiel im Stadion Lichterfelde.

Fußball-Woche: Frau Währer, Sie sind selbst Hamburgerin und haben eine HSV-Vergangenheit. Treibt Sie die Relegation in einen Gewissenskonflikt?
Währer: „Ich finde es total bitter, dass wir gegen den HSV spielen müssen, weil es beide Vereine verdient hätten, in der 2. Liga zu spielen. Beide Teams wären eine absolute Bereicherung für die Liga. Aber nein, ich wünsche mir den Aufstieg für Viktoria zu 180 Prozent.“

Als Viktoria vor einem Jahr an den Start ging, wurde ein Plan vorgestellt, nach dem man in fünf Jahren in der Bundesliga angekommen sein möchte. Was würde es für Ihr Projekt und das Tempo des Projektes bedeuten, wenn der Aufstieg nicht gelingt?
Währer: „Es wird schon sportlich herausfordernd, denn die nächste Saison in der Regionalliga wird nicht einfacher, ganz im Gegenteil. Der 1. FC Union investiert noch mehr, RB Leipzig II wird Gas geben, nachdem die erste Mannschaft in die Bundesliga aufgestiegen ist. Ich könnte mir auch vorstellen, dass Türkiyemspor ambitioniert bleibt. Deswegen wäre es wünschenswert, wenn wir schon da raus sind. Für das Projekt an sich würde sich aber nicht viel ändern. Es war nie das Ziel, dass wir aufsteigen müssen in diesem Jahr.“

Wie beobachten Sie die Konkurrenz um Sie herum? Union haben Sie schon angesprochen, Hertha BSC wird einen neuen Weg einschlagen mit Kooperationspartner Hertha 03, und auch die Entwicklungen bei Turbine Potsdam dürften mit Spannung zu beobachten sein.
Währer: „Es ging uns darum, grundsätzlich was anzuschieben im Frauenfußball. Deswegen finden wir es erstmal großartig, wenn andere Vereine ebenfalls aufbrechen zu neuen Ufern. Aber wir bleiben schon bei uns und wollen die nächsten Schritte machen, da haben wir genug Hausaufgaben, zum Beispiel beim Thema Infrastruktur. Allein in Berlin sind es drei verschiedene Herangehensweisen, den Frauenfußball voranzubringen: unser Weg mit der Ausgliederung und Investoren dahinter, Union hat die Wichtigkeit erkannt und investiert jetzt als Männer-Bundesligist in die Frauen, und Hertha, die sich eine ganze Abteilung rübergeholt haben aus Zehlendorf. Das sind drei spannende Herangehensweisen. Ich glaube, alle können Erfolg haben. Und es wäre doch geil, wenn du dich als Mädchen in Berlin zwischen mehreren tollen Klubs entscheiden kannst.“

Sie und Ihre Mitgründerinnen von Viktoria haben sich vom Angel City FC um Schauspielerin Natalie Portman inspirieren lassen, die in den USA einen feministischen Fußballklub gründete. War es ein Gedanke, auch in Berlin einen neuen reinen Frauenverein zu gründen?
Währer: „In Berlin gab und gibt es einen weißen Fleck im professionellen Frauenfußball. Das wollen wir zeitnah ändern. Mit einem neuen Verein hätte es aber zehn Jahre länger gedauert, deswegen hätte eine Neugründung nicht zu unserem Zeithorizont gepasst.“

Sie haben darüber hinaus das Ziel formuliert, den Fußball in Deutschland nachhaltig verändern zu wollen. Was genau ist damit gemeint? Sicher nicht die Positionierung des­ „Sechsers“ im 4-4-2-System …
Währer: „Es geht darum, den Frauenfußball aus dem Nischendasein herauszuholen, um Werte, Wertschätzung, Bezahlung und professionelle Bedingungen. Die Standards müssen einfach nach oben korrigiert werden. Es kann nicht sein, dass Frauen in der Bundesliga nebenbei teilweise arbeiten müssen. Auch medial kann und sollte der Frauenfußball noch gleichberechtigter gemacht werden. Es geht aber nicht um Equal Pay, also gleiche Bezahlung, sondern um Equal Play. Ein junges Mädchen soll die gleichen Voraussetzungen haben wie ein Junge.“

Geht es auch im Diversität?
Währer: „Wir wollen auch zeigen, dass es tolle Frauen neben dem Platz in Führungspositionen im Fußball geben kann. Wenn es darum geht, Stellen divers zu besetzen, hinkt der Fußball hier noch hinterher.“

Eine „Spiegel“-Reportage über Viktoria wurde kürzlich mit der Headline überschrieben: „Wichtigste Regel: keine Arschlöcher“. Muss sich da jemand im deutschen Fußballgeschäft angesprochen fühlen?
Währer: (lacht) „Wir hatten damit niemanden bewusst im Kopf. Es ging uns einfach darum, dass alle unsere Investorinnen und Investoren und Menschen im Verein für die Thematik brennen und nicht dabei sind, weil sie Kohle und Prestige für sich herausziehen können. Es gibt leider viel zu kritisieren, wenn man sich den Fußball und handelnde Personen gerade anschaut. Wir wollen einen anderen Weg gehen und alles geben, damit wir erfolgreich werden.“

Sie sind mit einem Anfangskapital von 1 Million Euro durch 87 Unterstützerinnen und Unterstützer gestartet. Kann sich Viktoria inzwischen selbst finanzieren?
Währer: „Nein, wir haben so viel Aufbauarbeit zu leisten. Wir sind gesegnet mit tollen Sponsoren und wachsenden Zuschauerzahlen. Aber das reicht noch nicht. Eine zweite Finanzierungsrunde steht in den Startlöchern.“

Es gibt auch viel Kritik an Ihrem Projekt, das reicht von „Investorenbrut“ bis zu
„Start-Up-Gedöns“. Nehmen Sie sich so etwas zu Herzen? Oder sagen Sie: Wir können eh nicht allen gefallen!?

Währer: „Du wirst es nie allen recht machen. Wir sind überzeugt von unserem Weg. Gerade die Investoren-Diskussion im Fußball ist mir zu schwarz-weiß, auch ein bisschen scheinheilig und nicht differenziert genug. Es gibt vielmehr Nuancen, über die man diskutieren könnte. Das überwiegende Feedback ist auch positiv.“

Interview: Steven Wiesner / Titelfoto: Kai Heuser

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