„Wir haben zu Hause kein Spiel verloren“

Als die Bayern im Berliner Nebel untergingen …


Autor: Michael Jahn

Es gibt viele ehemalige Fußball-Profis, die erinnern sich auf Nachfrage noch an unzählige Details aus Duellen, in denen sie eine Rolle spielten. Egal, ob diese Begegnungen zehn, 20 oder noch mehr Jahre zurückliegen. Erich Beer, 74, eines der größten Idole der Hertha, gehört zu dieser Spezies. Das Bundesligaspiel, um das es sich in dieser Serie dreht, fand vor mehr als 45 Jahren statt – exakt am 1. Februar 1975. „Ach“, sagt Beer, „damals haben wir bei Nebel im Olympiastadion die Bayern mit 4:1 nach Hause geschickt. Franz Beckenbauer hat ein schönes Selbsttor geschossen und mir gelangen zwei Treffer gegen Sepp Maier. Das war schon ein starkes Spiel von uns.“
Dieser Erfolg ist bis zum heutigen Tag der höchste Sieg einer Hertha-Mannschaft gegen die oft übermächtigen Bayern geblieben, was ihn auch so besonders macht.
Es war der 19. Spieltag der Saison 1974/75 und der FC Bayern trat mit vier seiner fünf Weltmeister von 1974 in Berlin an: mit Sepp Maier im Tor, Franz Beckenbauer und „Katsche“ Schwarzenbeck in der Abwehr und Gerd Müller im Sturm. Nur Uli Hoeneß fehlte. 81.782 Zuschauer füllten das Olympiastadion beinahe bis auf den letzten Platz. Hertha spielte eine starke Saison, war vor allem in der heimischen Arena eine unglaubliche Macht. Deshalb waren die Erwartungen groß bei den Fans, die ihre Hertha liebten. „Wir haben damals zu Hause kein Spiel verloren“, sagt Erich Beer.

Kurios ist dabei vor dem Spiel gegen die Bayern, dass in Dettmar Cramer ausgerechnet jener Trainer bei den Bayern im Amt ist, der zu Saisonbeginn von Hertha verpflichtet worden war, aber schon am Tag seiner Vorstellung seinen Vertrag nach der ersten Trainingseinheit nach Uneinigkeiten mit der Vereinsführung auflöste. Aber das ist schon wieder eine Extrageschichte.
Cramer ging als Nationaltrainer in die USA, übernahm aber schon im Januar 1975 nach zwei Länderspiel-Niederlagen mit den Nordamerikanern den Trainer-Job bei Bayern München. Hertha aber hatte Georg Kessler verpflichtet, den früheren Nationaltrainer der Niederlande. Kessler, wegen seiner guten Manieren und seines gepflegten Äußeren „Sir“ genannt, sollte sich als Glücksgriff erweisen. „Der hat jeden Einzelnen von uns wunderbar motiviert“, sagt Erich Beer, „der hat immer auf unsere Stärken verwiesen und nicht aufdie des Gegners“.
Das passierte auch vor dem Duell gegen Bayern. Nach einer Flanke von Beer und einem Kopfball von Erwin Herman-dung, dem Mann mit der „Pferdelunge“, in den Strafraum der Münchner unterlief „Kaiser“ Franz Beckenbauer sein zweites Selbsttor binnen acht Tagen. Erst neun Minuten waren gespielt, aber Karl-Heinz Rummenigge gelang drei Minuten später der Ausgleich.

Kurz nach der Halbzeit war Erich Beer hellwach und fing einen von Gerd Müller als Rückpass auf Sepp Maier gedachten Ball ab, umkurvte den Nationalkeeper und schoss zum 2:1 ein. Wolfgang Sidka legte nach zum 3:1. Die Bayern waren nach einer Stunde beinahe geschlagen. Der Nebel im Stadion wurde immer dichter und Beer sagt: „Ich hatte Angst, dass der Nebel zu heftig wird und das Spiel sogar abgebrochen werden musste.“
Doch das passierte Gott sei Dank aus Berliner Sicht nicht. Beer war es, der mit einem fulminanten Schuss aus gut 20 Metern das 4:1 erzielte (85.). Und zwei Minuten vor dem Abpfiff vergab Herthas Uwe Kliemann, genannt der „Funkturm“, noch einen Foulelfmeter gegen Maier. Hertha kletterte auf Rang drei in der Tabelle.
Am Ende aber schafften die Blau-Weißen mit dieser starken Mannschaft sogar Platz zwei und wurden Vizemeister hinter Borussia Mönchengladbach und vor Eintracht Frankfurt. Beer (elf Treffer), Kliemann (7) sowie der Schweizer Kurt „Kudi“ Müller und Wolfgang Sidka (je 6) waren die besten Schützen. Titelverteidiger Bayern München landete nur auf dem enttäuschenden Rang neun.
So nah an der Meisterschaft wie damals war eine Hertha-Mannschaft bis heute nie wieder – nur in der Spielzeit 2008/09 spielte Hertha unter Trainer Lucien Favre lange um den Titel mit, kam am Ende auf Platz 4.
Beer sagt: „Unser Trainer Georg Kessler hatte schon als Ziel intern die Meisterschaft ausgerufen und sich sogar eine Meister-Prämie in seinen Vertrag schreiben lassen sowie eine Prämie für Platz 2 und 3. Ich glaube, er hat 30.000 Mark für die Vizemeisterschaft bekommen. Er hat uns vertraut und wir ihm.“

Hertha BSC – Bayern München 4:1 (1:1)
HERTHA: Zander – Sziedat, L. Müller (46. Brück), Kliemann, Weiner – Sidka, Hermandung, Beer – Grau, Horr, K. Müller.
BAYERN: Maier – Hansen, Schwarzenbeck, Beckenbauer, Andersson (76. Torstensson) – Roth, Zobel, Kapellmann (69. Förster) – Rummenigge, G. Müller, Dürnberger.
SR: Weyland (Oberhausen) – Z.: 81.732 im Olympiastadion.
TORE: 1:0 (9.) Beckenbauer (Eigentor), 1:1 (12.) Rummenigge, 2:1 (47.) Beer, 3:1 (61.) Sidka, 4:1 (85.) Beer.
GELBE KARTEN: Grau – Förster.
BESONDERES: 88. Maier hält Foulelfmeter von Kliemann.

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