„Das war schon gigantisch!“
Als der AC Mailand im Olympiastadion keine Chance besaß…
Autor: Michael Jahn
Endlich die Champions League in Berlin! Endlich große Namen im Olympiastadion! In den Jahren 1999 und 2000 tourte die Mannschaft von Trainer Jürgen Röber durch Europa, traf auf die europäische Elite – auf Chelsea London, den FC Barcelona oder den AC Mailand. Allesamt Mannschaften, die noch einige Jahre zuvor von Hertha beinahe so weit entfernt waren wie die Erde vom Mond.
Zwanzig Jahre mussten die Anhänger der Hertha auf Europacup-Duelle warten. Vom 25. April 1979 datierte Herthas letztes Spiel im Europapokal – ein großartiger 2:1-Sieg im Uefa-Cup-Halbfinale gegen Roter Stern Belgrad. Da die Berliner um Erich Beer aber das Hinspiel in Belgrad vor 100.000 Fans mit 0:1 verloren hatten, schieden sie wegen der Auswärtstorregel aus. Damals ein bitterer Moment.
Zwei Jahrzehnte später hießen die Protagonisten nicht mehr Erich Beer, Hanne Weiner, Wolfgang Sidka oder Uwe Kliemann, sondern Michael Preetz, Ali Daei, Dick van Burik, Eyjölfur Sverrisson oder Dariusz Wosz. In der Qualifikation für die Champions League, die durch Platz drei in der Bundesligasaison 1998/99 erreicht worden war, traf Hertha auf Anor-thosis Famagusta aus Zypern. Die Kicker von der Mittelmeer-Insel wurden im Olympiastadion am 11. August 1999 mit 2:0 bezwungen. Die Tore vor 42.500 Zuschauern schossen der Iraner Ali Daei, der von Bayern München nach Berlin gekommen war, und Michael Preetz. Im Rückspiel reichte ein schmuckloses 0:0, um die Gruppenphase der Königsklasse zu erreichen. Danach warteten alle Hertha-Anhänger gespannt auf die Auslosung. Die Gegnerschaft war prominent und äußerst attraktiv: Galatasaray Istanbul, FC Chelsea und der große AC Mailand.
Hertha schlug sich großartig und viel besser, als einige Experten erwartet hatten. Nach dem 2:2 zum Auftakt im Hexenkessel des Ali-Sami-Yen-Stadions bei Ga-latasaray Istanbul wurde im Olympiastadion Chelsea London mit 2:1 bezwungen. Ali Daei, ein großgewachsener, wuchtiger Profi, traf zweimal per Kopf und wurde „Air-Daei“ getauft.
Danach, es war der 28. September 1999, musste Hertha im Giuseppe-Meazza-Stadion zu Mailand antreten, auch bekannt als San Siro-Stadion. Wieder war es Ali Daei, der beim äußerst couragierten Auftritt der Hertha traf. 1:1 ging das Duell gegen den AC Mailand aus, für die Gastgeber hatte der deutsche Mittelstürmer Oliver Bierhoff getroffen, der damals in Italien große Popularität genoss. „Grazie Ali Daei!“ schrieben einige Berliner Zeitungen oder auch „Her-thissimo – Riesenkampf im San Siro“.
Knapp drei Wochen danach, am 20. Oktober 1999, kam der AC Mailand nach Berlin und das Olympiastadion war mit 75.000 Fans restlos ausverkauft. Berlin liebte seine Hertha, die mutigen und offensiven Fußball zeigte. Vor dieser prächtigen Kulisse entwickelte sich ein großer Kampf und Hertha zeigte eines ihrer besten Spiele auf der internationalen Bühne. Der AC Mailand hatte bis zu diesem Duell 16-mal die italienische Meisterschaft gewonnen, viermal den Pokal in Italien, dazu fünfmal den Europacup der Landesmeister geholt und dreimal den Weltpokal errungen. Weltberühmte Kicker wie Jose Altafini, Gianni Rivera, Ruud Gullit oder Marco van Basten trugen einst den Milan-Dress.
Am 20. Oktober 1999 hießen die Stars der Gäste Paolo Maldini, Alessandro Costacurta, Leonardo, Serginho, Andrij Schewtschenko und Oliver Bierhoff.
Herthas Matchplan von Trainer Röber sah Folgendes vor: Sebastian Deisler, Dariusz Wosz und Kai Michalke sollten sich mit ihrer Schnelligkeit und Beweglichkeit durch die Mailänder Hintermannschaft spielen und vorne Ali Daei und Michael Preetz mit scharfen Hereingaben füttern. In der Abwehr wurde eine Dreierkette formiert, wobei der Holländer Dick van Burik mit Schewtschenko, damals einer der besten Stürmer Europas, und Thomas Helmer mit Oliver Bierhoff als Gegner klare Zuordnungen bekamen. Der Isländer Jolly Sverrisson agierte als Bewacher von Leonardo und Pal Dardai stopfte im Mittelfeld die Löcher.
All das funktionierte gut, die Kulisse trieb Hertha immer wieder nach vorn. Die Mannschaft, die nach den ersten Duellen in der Königsklasse sehr selbstbewusst auftrat, hatte mehr Ballbesitz als die Italiener. Milan arbeitete in der Abwehr fast mit einer Fünferkette, weil sich auch Leonardo oft weit zurückfallen ließ. Preetz und auch Ali Daei blieb nicht viel Raum für gefährliche Aktionen. Dennoch erarbeitete sich die Röber-Truppe mehr Chancen im ersten Abschnitt, der insgesamt ausgeglichen verlief. Vor allem der wendige Deisler beschäftige die Milan-Abwehr mehr als der lieb sein konnte. Vier Minuten vor dem Halbzeitpfiff von Referee Jose-Maria Garcia-Aranda aus Spanien wurde das Olympiastadion zum tobenden Hexenkessel. Mailands Luigi Sala unterlief in der eigenen Hälft ein Abspielfehler, den der flinke Dariusz Wosz, Spitzname „Zaubermaus“, gedankenschnell ausnutzte. Wosz eilte mit dem Ball am Fuß aufs Mailänder Tor zu und bezwang Christian Abbiati, den Mailänder Keeper, mit einem fulminanten Flachschuss in die rechte untere Torecke – 1:0! „Das war schon gigantisch!“, schwärmte der Torschütze später.
Mailand kam mit neuem Elan aus der Kabine und Hertha musste bis zur 70. Minute eine Drangperiode der Italiener überste
hen. Aber Kjetil Rekdal organisierte die Abwehr sehr gut. Danach setzte auch Hertha wieder offensive Nadelstiche. Am Ende blieb es beim verdienten und umjubelten 1:0-Sieg. Trainer Jürgen Röber lobte: „Das war sehr guter Fußball von uns. Ich war 90 Minuten unter totaler Hochspannung.“
Hertha überstand danach die Gruppenphase und zog in die Zwischenrunde der Champions League ein. Dort aber war Endstation. Die Gegnerschaft war mit dem FC Barcelona, dem FC Porto und Sparta Prag zu stark.
Hertha BSC – AC Mailand 1:0 (1:0)
HERTHA: Kiraly – Sverrisson, Helmer, Rekdal, van Burik – Dardai (87. Sanneh) – Deisler, Michalke – Wosz – Daei (70. Aracic), Preetz.
MILAN: Abbiati – Sala, Maldini, Costacurta (46. Ayala) – Albertini, Ambrosini (64. Giunti) – Guly, Leonardo, Ser-ginho (75. Orlandini) – Schewtschenko, Bierhoff.
SR: Garcia-Aranda (Spanien) – Z.: 75.000 (ausverkauft).
TORE: 1:0 (41.) Wosz.
GELBE KARTEN: Daei, Rekdal, Deisler – Schewtschenko, Maldini, Ayala.
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