„Darum bis zum letzten Augenblick auf Sieg!“

Die Deutschen Meister von 1930 und 1931

Autor: Michael Jahn

Der 22. Juni 1930 war ein heißer Sommertag in Deutschland, auch in Düsseldorf brannte die Sonne mit voller Kraft. Das sollte von den Spielern, die es ins Endspiel um die deutsche Meisterschaft im Rheinstadion geschafft hatten – die Akteure von Holstein Kiel und von Hertha BSC – besonders große Kondition und Willenskraft erfordern. Hertha um Kapitän Hanne Sobek war angetreten, um endlich die Meisterschaft nach Berlin zu holen. Egal, wie groß die Widrigkeiten sein sollten, egal, wie stark die Gegenwehr der Kieler ausfallen würde.

Hertha und Fußball-Berlin fieberten diesem Finale entgegen, denn es war bereits der fünfte Versuch in Serie, die „Viktoria“, den Siegespokal, in die Reichshauptstadt zu holen. Viermal war Hertha zuvor in den Endspielen gescheitert, mal knapp und unverdient, mal eindeutig. 1:4 gegen die SpVgg Fürth (1926), 0:2 gegen den 1. FC Nürnberg (1927), 2:5 gegen den Hamburger SV (1928) und 2:3 gegen die SpVgg Fürth (1929) lauteten die Resultate.
Die Mannschaft hatte sich 1930 mit überragenden Leistungen für dieses Endspiel qualifiziert. In der Oberliga-Staffel A gab es 16 Siege, ein Remis und nur eine Niederlage bei einem Torverhältnis von 103:27! Der Sieger der Staffel B, Tennis Borussia, wurde mit 3:1 und 2:0 abgefertigt. Danach wurden auf dem Weg ins Finale Beuthen 09 mit 3:2, SV 07 Köln-Sülz 1:1 n.V. und 8:1 und der 1. FC Nürnberg mit 6:3 geschlagen.
40.000 Zuschauer waren in Düsseldorf im Stadion, die Mehrheit unterstützte den Außenseiter Holstein Kiel. Im Buch „90 Jahre Hertha BSC“ heißt es: „Im vollbesetzten Düsseldorfer Stadion war auch eine kleine Gruppe getreuer Herthaner, denen der Verein für ihre Verdienste Hin-und Rückfahrt bezahlte, Verpflegung und Übernachtung und zusätzlich ein Taschengeld von 50 Mark.“
Das Spiel selbst begann desaströs für Hertha. Nach vier Minuten stand es 0:1 nach einem Fehler von Keeper Paul Gehlhaar, nach acht Minuten folgte das 0:2. Sollte erneut alles schiefgehen, sollte die „Viktoria“ nie mehr nach Berlin kommen?
Es ist Kapitän Hanne Sobek, inzwischen 30 Jahre alt, der seine Mitspieler aufrüttelt und antreibt. Fortan, so schreiben Chronisten, gab es das Spiel „Kiel gegen Sobek“. Nach 22 Minuten schafft Sobek das 1:2 und nur vier Minuten später gelingt dem überragenden Akteur das 2:2 nach Vorlage von Hermann Hahn.
Doch Kiel geht erneut in Führung (29.), die Bruno Lehmann noch vor der Pause zum 3:3 ausgleicht (36.). Es ist erneut Lehmann, der das 4:3 für Hertha erzielt (68.). Doch dann schickt Referee Willy Guyenz in der 80. Minute den Kieler Ludwig wegen angeblicher Schiedsrichterbeleidigung vom Platz, was Folgen hatte. Beinahe alle der 40.000 Zuschauer unterstützen fortan Kiel, pfeifen Hertha aus. Oskar Ritter schafft, angetrieben von einem euphorischen Publikum, tatsächlich das 4:4 (82.). Es droht eine Verlängerung, eine Hitzeschlacht. Doch drei Minuten vor dem Abpfiff gelingt Hanne Ruch das 5:4 für Hertha. Dann ist Schluss und Hertha endlich Deutscher Meister!

Hanne Ruch, Hanne Sobek, Otto Leuschner und Willi Kirsei standen in allen fünf Endspielen seit 1926 auf dem Rasen – sie sind überglücklich und liegen sich mit ihren Kameraden lange in den Armen.
In Berlin aber gibt es spontane Siegesfeiern. In einer alten Chronik heißt es: „Am späten Nachmittag des folgenden Tages stand die Stadt Kopf, geriet in einen wahren Fußballrausch. Auf dem Bahnhof Friedrichstraße waren Bahnsteige und Ausgänge längst belagert; überall blauweiße Fahnen und Fähnchen, Wimpel, Girlanden, Schilder mit der Aufschrift »HERTHA-B.S.C. Deutscher Meister«. Auch die Straßenzüge um den Bahnhof herum waren heillos verstopft; Straßenbahnen, Omnibusse, Autos hielten. Die Begeisterung steigerte sich noch, als der Schnellzug zehn Minuten nach sechs Uhr einlief. Auf ihren Schultern trugen Enthusiasten und Freunde die Spieler vom Bahnsteig herunter. In offenen Autodroschken, voran eine Musikkapelle, ging es dann durch die nördliche Friedrichstraße, Elsässer- und Brunnenstraße dem Klublokal, den Atlantic-Fest-sälen am Bahnhof Gesundbrunnen, entgegen.“ Die anschließende Feier in den Atlantic-Festsälen soll bis in den frühen Morgen gedauert haben.
Ein Jahr später konnte Hertha den Triumph wiederholen. In den Endrundenspielen um die Meisterschaft wurden nacheinander der VfB Bielefeld (5:2), die SpVgg Fürth (3:1) und im Halbfinale der Hamburger SV (3:2 n.V.) bezwungen. Der Endspiel-Gegner am 14. Juni 1931 im Köln-Müngersdor-fer Stadion hieß 1860 München.
Im Buch „90 Jahre Hertha BSC“ heißt es: „Den im Schnitt viel jüngeren Münchnern stand eine in vielen Stürmen erprobte Mannschaft gegenüber. Die Münchner gingen mit 1:0 in Führung (24.), doch Hanne Sobek gelang noch vor der Pause der Ausgleich (44.). Er traf mit einem Volleyschuß. Doch 1860 schaffte sofort das 2:1 (45.).“
Wer, wenn nicht Hanne Sobek sollte die Wende bringen? In der Halbzeit sagte er zu seinen Mitspielern: „Sollten wir verlieren, so hat uns eine gute Mannschaft geschlagen! Aber wir haben noch nicht verloren und wir werden gewinnen, falls unsere Gegner mauern. Darum bis zum letzten Augenblick auf Sieg!“
Und tatsächlich war es Herthas Kapitän, der nach 75 Minuten das 2:2 markierte. In „90 Jahre Hertha BSC“ schreiben die Chronisten: „Da, eine Minute vor dem Abpfiff der regulären Spielzeit, erhielt Hanne Sobek das Leder, behielt die Nerven, servierte dem noch günstiger postierten Willi Kirsei, der in der Aufregung nicht voll traf. Die Chance schien verpatzt, als Kirsei noch mit hurtigen Schritten nachsetzte und aus unwahrscheinlich spitzem Winkel die Kugel zum 3:2 in Netz rammte. Das war der Sieg, die nicht mehr erwartete Wendung.“ 50.000 Zuschauer hatten in Köln das Duell verfolgt. Und in Berlin bereiteten später wieder Tausende der Meister-Mannschaft einen triumphalen Empfang. Die Spieler galten als Helden und Berlin liebte seine Hertha.

Finale 1930: Hertha BSC – Holstein Kiel 5:4 (3:3)
HERTHA: Gehlhaar, Völker, Wilhelm, Leuschner, Müller, Radecke, Ruch, Sobek, Lehmann, Kirsei, Hahn.
HOLSTEIN KIEL: Kramer, Lagerquist, Zimmermann, Lübke, Ohm, Baasch, Esser, Widmeyer, Ludwig, Ritter, Voß.
SR: Guyenz – z.Z.: 40.000 im Rheinstadion Düsseldorf. TORE: 0:1 (4.) Widmeyer, 0:2 (8.) Ritter, 1:2 (22.) Sobek, 2:2 (26.) Sobek, 2:3 (29.) Ludwig, 3:3 (36.) Lehmann), 4:3 (68.) Lehmann, 4:4 (82.) Ritter, 5:4 (87.) Ruch.
ROTE KARTEN: 80. Ludwig (Unsportlichkeit).

Finale 1931: Hertha BSC – 1860 München 3:2 (1:2) HERTHA: Gehlhaar, Völker, Wilhelm, Stahr, Müller, Appel, Ruch, Sobek, Lehmann, Kirsei, Hahn.
1860: Riemke, Schäfer, Wendl, Stock, Pledl, Eiberle, Stiglbauer, Lachner, Huber, Oeldenberger, Thalmaier. TORE: 0:1 (24.) Oeldenberger, 1:1 (44.) Sobek, 1:2 (45.) Lachner, 2:2 (75.) Sobek, 3:2 (89.) Kirsei.
SR: Fissenewerth – z.Z.: 50.000 in Köln (Müngersdorfer Stadion).

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