Auf eigene Faust zum Spiel nach Kiel
1950 nimmt die Spaltung des Berliner Fußballs ihren Lauf
Autor: Andreas Baingo
Die Spaltung Deutschlands ist im Sommer 1950 zementiert. Ein Jahr zuvor ist die Bundesrepublik gegründet worden, im Herbst die DDR. Da ist Konrad Adenauer Bundeskanzler, hier Wilhelm Pieck Präsident. Es gibt längst zwei Währungen. Auch deshalb entwickeln sich die Wirtschaften im Osten und im Westen des Landes höchst unterschiedlich. In den westlichen Besatzungszonen werden im Mai die Lebensmittelkarten abgeschafft, im Osten bekommt jede Familie ab Oktober für ein Neugeborenes ein Begrüßungsgeld. Die beliebtesten Vornamen für Mädchen sind Monika, Ursel, Ingrid und Martina, für Jungen Peter, Michael, Hans und Klaus.
Uruguay ist Fußball-Weltmeister, im Westen hat der VfB Stuttgart den Titel erobert und im Osten ist Horch Zwickau der erste DDR-Meister. Während von der Nordsee bis zum Bodensee noch in den Oberligen gespielt und erst danach nach einer K.o.-Endrunde in einem Endspiel der Meister ermittelt wird, ist in der DDR mit der dortigen Oberliga eine zentrale Spielklasse ins Leben gerufen worden. Dabei halten sich die Gründer gerade einmal vier Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges hart an die politischen Leitplanken – Mannschaften aus Berlin dürfen in Folge des Vier-Mächte-Status an der Meisterschaft nicht teilnehmen.
In der ehemaligen Reichshauptstadt besteht die Gesamt-Berliner Stadtliga aus zwölf Mannschaften, von denen jedoch nur Union Oberschöneweide und der VfB Pankow aus dem Ostteil kommen und Hertha BSC als Vorjahresaufsteiger lediglich auf Rang 10 landet. Während Tennis Borussia mit drei Punkten Vorsprung Meister wird und sich souverän für die Meisterschafts-Endrunde qualifiziert, müssen, um den Vizemeister zu ermitteln, zwischen den punktgleichen Teams aus Oberschöneweide und des Berliner SV 92, dem Titelverteidiger, zwei Entscheidungsspiele ausgetragen werden. Hier behauptet sich Union mit 4:3 und 4:1 deutlich und hat mit Heinz Rogge zudem den mit Abstand torgefährlichsten Angreifer in seinen Reihen. Der Mittelstürmer erzielt 29 Saisontreffer und lässt seine Verfolger, so „Sohni“ Liebig von Alemannia 90 und Hans Berndt von TeBe, die es auf 18 bzw. 17 Tore bringen, deutlich hinter sich. Nur einen Treffer dahinter folgt mit Linksaußen Heinz Lehniger bereits ein weiterer Union-Torjäger.
Mit der Vizemeisterschaft für die ehemaligen Schlosserjungs beginnt allerdings ein großes Dilemma, zumal bereits festgelegt ist, dass für die kommende Saison, für das Spieljahr 1950/51, in Berlin der Vertragsspielerstatus eingeführt wird. Nach dem Willen des Deutschen Fußball-Bundes soll es also auch in der geteilten Stadt bezahlte Fußballer geben. Das jedoch stößt bei den Funktionären im Osten auf vehementen Widerstand. Auch deshalb tragen die Unioner ab März ihre Heimspiele vorsichtshalber nur noch im Poststadion in Tiergarten, also im Westsektor, aus.
Sowohl sportliche als noch mehr politische Argumente fliegen hin und her, die Fronten verhärten sich zusehends, so dass die Ostseite seinen beiden Vereinen die Annahme des Vertragsspielerstatus verbietet. Die Antwort der Westseite, in der Mehrheit die des Verbandes Berliner Ballspielvereine, hat es gleichfalls in sich: Union Oberschöneweide und VfB Pankow werden in die Amateurliga zwangsversetzt. Das wiederum lässt sich die Gegenseite, der Deutsche Sportausschuss (DS) des Ostens, nicht gefallen und zieht alle seine Vereine aus den Gesamt-Berliner Spielklassen ab. Damit ist die Spaltung des Berliner Fußballs perfekt.
Mit dieser Regelung bekommen die Männer von Union Oberschöneweide jedoch ein dickes Problem. Als Berliner Vizemeister haben sie sich für die K.o.-Runde um die Deutsche Meisterschaft qualifiziert. Eigentlich. Wenn nur die Politik mitspielen würde. Hatten die Oberschöneweider 1948 als Berliner Titelträger im Gegensatz zur SG Planitz, dem ersten Ostzonenmeister, noch an der Endrunde teilnehmen dürfen und dort in der Vorrunde im Olympiastadion vor 70.000 Zuschauern beim 0:7 gegen den FC St. Pauli nicht die Spur einer Chance, sehen sie sich nun um die erneute Teilnahme betrogen. Dabei hat der DS noch kurz vor der Entscheidung in der Stadtliga mitgeteilt: „Wir würden uns freuen, wenn Oberschöneweide als würdiger Vertreter unserer demokratischen Sportbewegung im Kampf um die Deutsche Meisterschaft mit eingreifen würde.“

Die Wuhlheider, von Berlins Fußball-Idol Hanne Sobek trainiert, hoffen bis zur letzten Minute auf die Erlaubnis, nach Kiel zu fahren, wo das K.o.-Spiel im Achtelfinale gegen den Hamburger SV stattfinden soll. Dazu will es der DS jedoch nicht kommen lassen und verweigert den Spielern und den Funktionären die Aushändigung der Reisepässe.
Trotzdem findet die Mannschaft den Weg an die Ostsee und tritt am 28. Mai 1950 im VfB-Stadion gegen den HSV an. Doch schon zur Pause ist klar, dass es eine Packung geben wird. Am Ende steht nach einem Viererpack von Herbert Woitkowiak (1., 47., 60., 72.), einem Doppelpack durch Edmund Adamkiewicz (30., 31.) und einem Treffer von Rolf Rohrberg (19.) ein deftiges 0:7 (0:4).
Heinz Rogge ist gegen die HSV-Abwehr um den späteren Weltmeister Josef Posipal ebenso abgemeldet wie seine Angreifer-Kollegen Erwin Wax, Manfred Seidel, Paul Salisch und Heinz Lehniger. Zudem hat Schlussmann Gerhard Wittke kaum eine Chance, weil neben Erhard Bolduan sogar der eigentlich starke Richard Strehlow im Angriffswirbel der Norddeutschen untergeht.
Das dicke Ende aber kommt nach der Rückkehr. Weil sich die Oberschöneweider von ihrer Sportführung nicht genügend unterstützt fühlen, auch weil die Zahlungen als Vertragsspieler (einschließlich Prämien kommen monatlich rund 250 D-Mark zusammen, womit die meisten Spieler ihr Einkommen neben ihrer beruflichen Tätigkeit verdoppeln) locken, setzt sich die Mannschaft in den Westen ab und gründet dort den SC Union 06.
Damit hat der Berliner Osten über Nacht seine spielstärkste Mannschaft verloren. Allein Mittelfeldspieler Kurt Senglaub, Angreifer Heini Brüll (er betreut 1975 in der Alten Försterei die Zweite und als Interimscoach kurzzeitig sogar die Erste) und Ersatztorhüter Erwin Röhrens kommen zurück und starten mit einer Anzahl von Reserve- und Jugendspielern einen Neubeginn, der, wie ein 1:7 gegen Lichtenberg 47 gleich im ersten Spiel der neuen Ära zeigt, ziemlich steinig wird.
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