Rekordjäger in langer grauer Schlabberhose

Wie Gabor Kiraly bei Hertha BSC zum Kultkeeper wurde

Autor: Michael Jahn

Die lange graue Schlabberhose etwas hochgezogen, den Ball fest im Blick und die Arme ausgefahren: Gabor Kiraly in einem seiner 198 Bundesligaspiele für Hertha BSC, hier am 1. Mai 1999 im Auswärtsspiel bei Bayer Leverkusen (2:2). Foto: imago images/Kulich/DKA

Jürgen Röber, Trainer mit Kultstatus von Hertha BSC, kam einst regelmäßig ins Schwitzen. Immer, wenn ein Spiel der Hertha schon gelaufen war und die Mannschaft sicher in Front lag, könnte das passieren, was sein Torhüter Gabor Kiraly, der einen Hang zum Leichtsinn besaß, angekündigt hatte: Der Ungar wollte das Spiel mit einem Abwurf an die eigene Torlatte eröffnen!

Das hatte er bei seinem Vorbild Peter Hegedüs gesehen, der in Kiralys Heimatverein Haladas Szombathely lange im Tor stand. Kiraly übte das später im Training bis zur Perfektion. Doch Trainer Röber verbot ihm, diese verrückte Aktion im Spiel zu zeigen. Kiraly hielt sich daran – wenn auch zähneknirschend. Hertha BSC war von 1997 bis 2004 die erste Station im Ausland von Gabor Kiraly, der für eine Ablöse von 200.000 Mark von Haladas nach Berlin gekommen war. 198-mal stand er in der Bundesliga im Tor der Berliner – so oft wie kein anderer Keeperbeim Hauptstadtklub.

Das ist bis heute so geblieben. Der Norweger Rune Jarstein aus dem aktuellen Team ist ihm mit bislang 148 Einsätzen am nächsten gekommen, aber noch immer weit entfernt.

Röbers damaliger Assistent Bernd Storck, heute ein erfolgreicher Cheftrainer in Belgien, zuletzt bei Cercle Brügge im Amt, hatte den Keeper bei einem U21-Länderspiel in Ungarn beobachtet und für eine Verpflichtung empfohlen. Ein Super-Tipp!

Kiraly stand in Berlin lange in Konkurrenz zum ebenfalls beliebten Christian Fiedler. Der wurde populär, da er in der Mannschaft der Hertha-Amateure, der sogenannten Bubis, stand, die 1993 das DFB-Pokalfinale erreicht hatten und Bayer Leverkusen mit 0:1 unterlagen. Höhepunkt in seiner Zeit in Berlin war für Kiraly das Erreichen der Champions League 1999/2000, als Hertha europaweit bekannt wurde. Der Ungar, der starke Reflexe besaß und im Strafraum mutig agierte, gelangte zu zusätzlicher Popularität, weil er stets in einer langen grauen Schlabberhose ins Spiel ging. Nie sahman ihn ohne eine dieser Hosen.

1994, so erzählte es Kiraly einmal, schlug die Geburtsstunde dieser Kult-Hose. „Bei einem Spiel von Haladas hatte unser Zeugwart die kurzen schwarzen Hosen für die Keeper vergessen und nur noch eine lange graue Hose dabei. Die zog ich an und in dieser Hose gewannen wir neun Spiele in Serie.“ Nach der „wunderbaren Zeit in Berlin“, so Kiraly, spielte er einige Jahre in England und blieb stets die Nummer eins der ungarischen Nationalmannschaft. Dort erlebte er acht Nationaltrainer, darunter Erwin Koeman, Lothar Matthäus, auch Pal Dardai und zuletzt Bernd Storck.

Liebling der Ostkurve: Weibliche Fans bekunden am 18. März 2000 beim Heimspiel gegen Bayern München (1:1) ihre Sympathie für Gabor Kiraly. Foto: imago images/Camera 4/König
Emotionaler Abschied von Hertha BSC (links Trainer Hans Meyer): Am 22. Mai 2004 bestreitet Gabor Kiraly gegen den 1. FC Köln (3:1) ab der 77. Minute seinen letzten Einsatz für die Blau-Weißen. Foto: imago images/Camera 4/König

Erst im November 2016, mit 40 Jahren, beendete Kiraly seine internationale Karriere nach 108 Länderspielen, was ihn zum Rekordspieler machte. Bei einem 0:2 gegen Schweden spielte er noch mal 28 Minuten und wurde beim Stand von 0:0 unter tosendem Beifall ausgewechselt. Auch Jürgen Röber war zu diesem Spiel nach Budapest gereist. Ein Kreis hatte sich geschlossen. 1998 absolvierte Kiraly sein erstes Länderspiel in Wien. Bei einem 3:2-Sieg gegen Österreich konnte er sich sofort auszeichnen und parierte einen Strafstoß von Stürmerstar Toni Polster. Erst drei Jahre nach dem Schweden-Länderspiel, im Mai 2019, war endgültig Schluss.

Im Alter von 43 Jahren sagte Kiraly „Tschüss!“ Er meinte: „Eine fantastische Reise ist zu Ende!“ 882 Pflichtspiele hatte er bestritten! Eine unglaubliche Zahl. Er hat seitdem viel zu tun, kümmert sich um seine Familie und um sein großzügiges Sportzentrum in Szombathely. Das hat er bereits vor 15 Jahren errichten lassen und es wächst und wächst. Trainingsplätze, Sporthallen, eine Torwartschule, RehaZentrum – alles ist vorhanden – und natürlich ein großer Fanshop. Dort gibt es die legendäre Schlabberhose, die Gabor einst berühmt machte. Seit seinem 40. Geburtstag besitzt Kiraly sogar eine eigene Kollektion mit dem Namen „K1raly“, in der er die Schlabberhose, aber auch T-Shirts und Torwarthandschuhe vermarktet. Jetzt, in der Corona-Krise, zeigte Kiraly sein großes Herz. Er spendete dem Städtischen Krankenhaus in Szombathely einen Patienten-Überwachungsmonitor für die Notaufnahme und dazu mehreredigitale Blutdruckmessgeräte. Am Telefon sagte er: „Mir und meiner Familie geht es gut, wir passen auf und halten uns an die Vorschriften.“ Er versucht, dass alle seine Angestellten aus dem Sportzentrum gut durch die Krise kommen.

Nach Berlin kommt er regelmäßig. Schon zweimal stand er beim AOK-Traditionsmasters in der Max-Schmeling-Halle im Tor der Legenden von Hertha BSC und zeigte tolle Paraden. Natürlich in seiner Schlabberhose. Die Fans feierten ihn wie eh und je.

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