Der nicht mehr mit den Pferden flüstert

Wie Sven Beukert, Ex-Torhüter des 1. FC Union, mit der Krise umgeht

Autor: Andreas Baingo

Keinem menschlichen Finger wird so viel Bedeutung zugemessen wie dem Daumen. Nicht umsonst gehen etliche Redewendungen auf dieses Gliedmaß zurück. So „Pi mal Daumen“ oder „über den Daumen peilen“ für ungefähr. Man kann „den Daumen draufhaben“, einen „grünen Daumen“ besitzen oder einfach nur „Däumchen drehen“. Es ist tatsächlich ein ganz besonderer Finger. Das merkt man aber meist erst dann, wenn dieser Finger verletzt ist oder man ihn, ganz schlimm, zu verlieren droht.

Was erst, wenn es einem Fußballer passiert, der – ein Unglück kommt meist selten allein – auch noch im Tor steht. So wie es Sven Beuckert widerfahren ist, dem einstigen Torhüter des 1. FC Union, der mit den Eisernen 2001 sowohl das Finale im DFB Pokal erreichte als auch mit ihnen in die 2. Bundesliga aufstieg. Die Karriere des Schlussmannes war abrupt beendet. Diesen Tag vor knapp elf Jahren, es war der 22. Juni 2009, wird Beuckert nie vergessen. Er, seit Kindesbeinen ein Pferdeliebhaber, der sich von seinem ersten Profigehalt sein erstes eigenes Pferd kaufte, wurde Opfer eines dieser Vierbeiner. Ein durchgehendes Pferd riss dem damals 35 Jährigen den rechten Daumen ab. „Eine Vene war noch dran und vielleicht fünf Zentimeter Haut“, sagt Beuckert. Nur: Mit dem Fußball war es zu Ende. Und als Pferdeflüsterer war es auch erst einmal vorbei. Dabei war der gebürtige Sachse, geboren am 12. Dezember 1973 in Stollberg im damaligen Bezirk Karl Marx Stadt, gerade ganz oben auf der Karriereleiter angekommen: in der Bundesliga. Zweimal, 2005 und 2007, ist er mit dem MSV Duisburg, zu dem er 2003 vom 1. FC Union wechselte, in Deutschlands Eliteliga aufgestiegen und hat dort sechs Spiele bestritten.

Glücksmoment in der alten Heimat: Nach dem 2:0-Erfolg des 1. FC Union bei Erzgebirge Aue im März 2001 klatscht Sven Beuckert die mitgereisten Fans ab. Mit dem Auswärtssieg sind die Eisernen dem Aufstieg in die 2. Bundesliga wieder ein Stück näher gekommen. Foto: imago images/contrast
Der Karriere-Höhepunkt: Sven Beuckert mit dem 1. FC Union im DFB-Pokalfinale 2001 – hinten von links: Chibuike Okeke, Daniel Ernemann, Tom Persich, Beuckert und Steffen Menze. Foto: imago images/Camera 4/MaBoSport

„Ich hatte eigentlich überall eine erfolgreiche Zeit“, findet Beuckert. Zunächst verdrängte er in Aue die dortige Legende Jörg Weißflog aus dem Kasten, und er hielt den FC Erzgebirge in der 2. Bundesliga, später erlebte er in der Alten Försterei Höhepunkte („Den bisher letzten und vielleicht größten, als ich zum Relegations Rückspiel gegen den VfB Stuttgart im Stadion war und Gänsehaut bekommen habe.“) und danach an der Wedau. Deshalb träumte er auch davon, trotz des Handicaps mit dem Daumen, der in einer dreieinhalbstündigen Operation wieder angenäht wurde, sich wieder ins Tor zu stellen. Dann aber merkte er: „Das geht nicht. Die Behinderung ist zu groß.“ Trotzdem blieb Beuckert dem Fuß ball treu, zunächst als Marketingleiter beim Frauenteam des FCR 2001 Duisburg. Seit der Bundesligist aber vom MSV übernommen wurde, ist der nun mehr 46 Jährige Torwarttrainer des Männerteams der „Zebras“, die als Spitzenreiter der 3. Liga vom Wiederaufstieg in die 2. Bundesliga träumen. Mehr ist beim Gründungsmitglied der Bundesliga – 1963 als Meidericher SV mit dem 1954er Weltmeister Helmut Rahn – derzeit nicht möglich. „Pendel ten wir zuvor zwischen Bundesliga und 2. Bundesliga“, sagt Beuckert, „so hat uns der Zwangsabstieg 2013 das Genick gebrochen und wir pendeln nur noch zwischen 2. Bundesliga und 3. Liga.“

Dort geht es jetzt, wie nahezu überall, ums blanke Überleben. „Seit 1. März sind wir auf Kurzarbeit, denn die Corona Infektionsrate ist bei uns in Nordrhein Westfalen ja ziemlich hoch“, sagt Beuckert, der genauso wenig weiß wie alle anderen, wann die Rückkehr zum normalen Leben erfolgen kann und der sich ebenso um die Zukunft sorgt. „Schon vor einiger Zeit habe ich von meinem Steuerberater erfahren, dass es bei einigen an die Existenz geht.“ Er selbst hat sich vorgenommen, die Zeit einigermaßen praktisch zu verbringen. „Wir wohnen in einem Ortsteil von Voerde, Götterswickerhamm, das ist ein Dorf etwa 25 Kilometer von Duisburg entfernt. Wir haben ein kleines Haus und dazu viel Wiese. Da will ich jetzt ein paar sinnvolle Sachen erledigen, vielleicht einiges im Garten tun und ein bisschen Farbe an die Wände bringen“, erzählt Beuckert. Praktisch veranlagt ist er ohnehin. „Ich bin nicht nur Fußballer“, sagt er, „ich habe auch einen praktischen Beruf gelernt, ich bin Industriemechaniker“. Damit hat er sogar Geld verdient. „Ein dreiviertel Jahr habe ich, wie man so sagt, bei Gas Wasser Scheiße gearbeitet und meinen Zivil dienst habe ich in einem Kindergarten als Hausmeister geleistet.“ Mit den Pferden indes hat er es nach seiner schweren Verletzung nicht mehr so. „Eines nur noch steht im Stall“, sagt Beuckert, „aber es ist verletzt, ich kann es derzeit gar nicht reiten, es darf nur im Schritt gehen.“ Das Leben ist derzeit eben in allen Bereichen entschleunigt. Auch beim ehemaligen Pferdeflüsterer.

Sven Beuckert (hinten) bei der Arbeit: Seit November 2011 ist der gebürtige Sachse Torwarttrainer des MSV Duisburg (vorn Jonas Brendieck). Foto: imago images/Camera 4/MaBoSport

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