Der Isländer mit den stahlblauen Augen

„Jolly“ Sverrisson spielte 23-mal für Hertha auf europäischer Bühne

Autor: Michael Jahn

Zupackend: Bei den Zweikämpfen mit Eyjölfur Sverrisson (l.) hörte der Spaß für den Gegner (hier Rivaldo vom FC Barcelona) meistens auf. Foto: imago images/Camera 4 (2)/Sven Simon/DC

Eyjölfur Sverrisson besitzt ein Privileg bei Hertha BSC. Der einstige Publikumsliebling der Berliner Fans, inzwischen 51 Jahre alt, bekam beim Hauptstadtklub für seine Verdienste einst ein Abschiedsspiel – gemeinsam mit seinem Teamkameraden und Freund Michael Preetz. Das passierte am 27. Juli 2003. Danach wurde bislang kein weiterer Profi mit solch einem Extra-Spiel vom Verein geehrt. An jenem Tag im Juli vor nunmehr 17 Jahren war im Olympiastadion die Mannschaft von Galatasaray Istanbul zuGast. 35.000 Zuschauer erlebten einen 4:1-Sieg der Hertha. Sverrisson hatte bis dahin 141 Erstligaspiele für Hertha bestritten, in denen er neun Tore schoss, und dazu 56 Duelle in der Zweiten Liga.

Gegen Galatasaray wechselte Herthas Trainer Huub Stevens das Duo Preetz/Sverrisson nach 49 Minuten aus, damit sie eine umjubelte Ehrenrunde starten konnten. Im Stadion sangen „Nello und friends“ unter Leitung von Herthas Teamcoach Nello die Martino das Lied „Time to say goodbye!“.

Vor dem Treffer zum 3:1 für Hertha hatte Sturmspitze Preetz dem Abwehrmann Sverrisson den Ball vorgelegt. Der Isländer, einst zu Beginn seiner Bundesliga-Karriere auch als Stürmer eingesetzt, verwertete locker. Die Fans tobten. Beide Spieler haben eine erfolgreiche Ära von Hertha BSC mit entscheidend geprägt – vom Aufstieg in die Bundesliga bis zum Erreichen der Champions League und der regelmäßigen Teilnahme am UEFA-Cup.
Vor seiner Zeit in Berlin, die für den 66-maligen Nationalspieler von Island „die schönste in meiner Karriere war“, hatte sich Sverrisson beim VfB Stuttgart einen Namen gemacht. Vom Zweitligaverein UMF Tindastoll auf der Atlantik-Insel war er 1990 ins Schwabenland gekommen, wo sein berühmter Landmann Asgeir Sigurvinsson als Spieler beste Werbung für den isländischen Fußball gemacht hatte.

Für Sverrisson war das ein Riesensprung. Bei Tindastoll im kleinen Örtchen Sauoarkrokur hatte er zusammen mit seinen Brüdern in einer Mannschaft gestanden – mit Björn (Libero), Eirikur (Sturm) und Sverrir (Mittelfeld). Sigurvinsson hatte den VfB-Bossen empfohlen: „Holt den Sverrisson!“ Immerhin spielte der bereits in der U21 von Island. Da Mitspieler und Journalisten seinen Namen nur schwer aussprechen konnten und stets radebrechten, sagte Sverrisson: „Nennt mich einfach Jolly!“

Torgefährlich: „Jolly“ bejubelt (mit Armmanschette) im September 1997 eines seiner 13 Bundesligatore für Hertha BSC (r. Hendrik Herzog). Foto: imago images/Camera 4 (2)/Sven Simon/DC
Alles klar? Hertha-Trainer Jürgen Röber gibt Sverrisson im Februar 2001 taktische Anweisungen. Foto: imago images/Camera 4 (2)/Sven Simon/DC

So ist es bis heute geblieben. Mit dem VfB wurde Jolly 1992 unter Trainer Christoph Daum und Manager Dieter Hoeneß Deutscher Meister. Nachdem Sverrisson den VfB nach 110 Bundesligaspielen verlassen und eine Zwischenstation bei Besiktas Istanbul eingelegt hatte, wurde Hertha auf ihn aufmerksam. Trainer Karsten Heine suchte nach spiel- und kampfstarken Profis, um den Aufstieg in die Erste Liga zu bewältigen, nach dem sich die Hauptstadt seit Jahren sehnte.

1995 kam Jolly für eine Ablöse von 900.000 Mark zu Hertha. Unter Trainer Jürgen Röber, der auf Heine folgte, wurde Sverrisson vom Stürmer zum rustikalen Abwehrmann umfunktioniert. Schnell verschaffte sich der Isländer Respekt bei den Stürmernder Konkurrenz. Der blonde Mann mit den stahlblauen Augen stieg auch schnell bei den weiblichen Hertha-Fans zum Liebling auf und im Team zu einem Führungsspieler. Sein Wort besaß Gewicht.

Die Auftritte in der Champions League 1999/2000 gerieten zu den absoluten Höhepunkten in seiner Zeit als Hertha-Profi. In acht Duellen der „Königsklasse“ war er dabei und kam insgesamt auf 23 Spiele im Europapokal für die Berliner. Jolly sagte: „Wir waren damals ein Riesen-Team mit einer großer Kameradschaft.“ Unerschrocken ging diese Mannschaft in die Duelle mit Spitzenklubs wie dem FC Barcelona, AC Mailand oder dem FC Chelsea. „Der beste Stürmer gegen den ich damals gespielt habe, war Luis Figo vom FC Barcelona“, erzählte Sverrisson.

Auch nach seinem Abschiedsspiel im Juli 2003 blieb er dem Fußball fest verbunden. Von 2005 bis 2007 agierte er sogar als Nationaltrainer von Island, von 2009 bis Dezember 2018 (!) war er verantwortlich für die U21 der Isländer und führte diesen Job mit viel Hingabe und Erfolg aus.
„Im Moment mache ich Pause vom Fußball“, sagte Sverrisson dieser Tage zur Fußball-Woche, „ich Reite viel und gehe Angeln, lasse es ruhiger angehen“. Zusammen mit seinem Schwiegervater züchtet er schon seit Jahren Pferde im Norden der Vulkaninsel, etwa 200 Kilometer von Reykjavik entfernt. In der Hauptstadt aber lebt er weiter mit seiner Familie.

Sein letzter Besuch in Berlin datiert vom Januar 2017. Mit den „Iceland Legends“ kam Jolly zum AOK-Traditionsmasters in die Max-Schmeling-Halle. Die meist bärtigen Oldies um ihren Anführer Jolly sorgten für tolle Stimmung, hatten aber gegen Union (1:8) und Hertha (1:4) keine Chance. Dafür sollen sie bei der Players-Partie die beste Kondition gezeigt haben …

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Abschied von den Fans: „Jolly“ Sverrisson fährt im Juli 2003 gemeinsam mit dem ebenfalls seine Karriere beendenden Michael Preetz im Mercedes Cabrio eine Ehrenrunde im Olympiastadion. Foto: imago images/Camera 4 (2)/Sven Simon/DC
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