Vom Straßenfußballer zum Cheftrainer

Niko Kovac, der Junge aus dem Wedding, gab 1991 sein Profi-Debüt

Autor: Michael Jahn

Anfang März, kurz bevor das Corona-Virus zuschlug und auch die Bundesliga erschütterte, kam Hoffnung auf bei vielen Fans von Hertha BSC. Nach der Flucht von Trainer Jürgen Klinsmann im Februar hatte dessen Assistent Alexander Nouri die verunsicherte Mannschaft ad interim übernommen. Der Plan von Manager Michael Preetz aber lautete: Mit Nouri auf einem Mittelfeldplatz möglichst die turbulente Saison zu beenden und danach einen neuen Cheftrainer zu inthronisieren. Sein Wunschkandidat: Niko Kovac.

Das Gros der blau-weißen Anhänger jubelte bei diesem Gedanken, denn Kovac, der Junge aus dem Wedding, als Spieler ein rustikaler Kämpfer und Stratege, bodenständig und erfolgreich, würde zu Hertha passen wie die Faust aufs Auge. Viel mehr Berlin geht nicht, die Identifikation zwischen Trainer, Verein und Stadt wäre riesengroß. Schon nach der Entlassung von Ante Covic im November vorigen Jahres wollte Preetz den 83-maligen kroatischen Nationalspieler und späteren Nationaltrainer der Kroaten nach Berlin lotsen. Der war gerade als Chefcoach beim FC Bayern München gescheitert. Doch Kovac, auch Taufpate von Covics Sohn Maurice, lehnte ab. Es hieß: Er benötige erst einmal Abstand zum Ligageschäft nach der anstrengenden Zeit beim Bundesliga-Krösus FC Bayern. Hansi Flick, zuvor Assistent von Kovac, wurde dessen Nachfolger.

Trister Zweitliga-Alltag mit Hertha BSC: Niko Kovac im Dezember 1994.
Letzte Bundesliga-Saison im Hertha-Trikot: Niko Kovac im Dezember 2005 im Zweikampf mit Sergej Barbarez vom Hamburger SV. Fotos: imago images/Rust/Ulmer/König/Müller

Bei Hertha aber konnte Nouri der Mannschaft nicht weiterhelfen und Preetz nutzte die Unterbrechung der Liga wegen der Pandemie, um sich von Nouri zu trennen. Ein neuer Cheftrainer für die restlichen neun Saisonspiele musste her. Kovac, der mit seiner Familie in Salzburg lebt, war nicht zu überzeugen, sofort in seine Heimatstadt zurückzukehren. So wurde flugs Bruno Labbadia verpflichtet – eine gute Wahl, wie sich schnell herausstellen sollte. Das Thema Kovac aber wird wohl für lange Zeit bei Hertha keine Rolle mehr spielen. Zur neuen Saison wird er Trainer bei AS Monaco. Kovac unterschrieb am Sonntag einen Dreijahresvertrag mit Option auf eine längere Zusammenarbeit.

Dennoch wird der Name des 48-Jährigen immer mit seiner Geburtsstadt und mit Hertha BSC in Verbindung bleiben. In der Turiner Straße Nummer 8, mitten im Wedding, wohnte Kovac in seiner Kindheit zusammen mit seinen Eltern und Bruder Robert. Der Bolzplatz in der Ruheplatzstraße war nicht weit, wo die beiden fußballverrückten Brüder kickten. Dort lernten sie die wichtigsten Dinge eines Straßenfußballers – den Ball erobern und sich auch gegen ältere und robustere Kinder und Jugendliche durchzusetzen. Später spielten die Kovac-Brüder, deren Talent schnell auffiel, auf den Wiesen im nahen Schillerpark.

Andreas Beese, Jugendtrainer von Rapide Wedding, beobachtete die beiden und holte sie in den Verein. Niko schaffte es sogar in der Jugendmannschaft von Rapide zum Kapitän. Dass er einmal ein Anführer auf dem Platz werden würde, sahen die Jugendtrainer schnell. Mit 17 Jahren wechselte Niko, der auf dem Lessing-Gymnasium sein Abitur „baute“, zu Hertha Zehlendorf und nach zwei Jahren ging es weiter zur „großen Hertha“ – zu Hertha BSC.

Karsten Heine, heute Trainer bei der VSG Altglienicke und einst viele Jahre als Coach bei Hertha am Ball, sagte einmal: „Niko kam als junger Kerl zu uns und zeigte keinerlei Hemmungen. Er war damals sehr kommunikativ – auf dem Platz und auch in der Kabine.“ Heine erlebte viele Spiele mit Kovac in der U23 und kam zu folgendem Urteil: „Ich hatte viele gut Jungs bei mir, aber Niko war einer der besten.“

In der Saison 1991/92 stieß Kovac dann zu den Profis, verstärkte das Team in der Zweiten Liga Nord zusammen mit den Zugängen Mario Basler (von Rot-Weiss Essen) und Uli Bayerschmidt (vom 1. FC Nürnberg). Unter Trainer Bernd Stange kam der defensive Mittelfeldmann Kovac am 2. November 1991 zu seinem Profidebüt. Die Kulisse im Olympiastadion beim Duell gegen den VfL Osnabrück (1:1) war mit 3923 Zuschauern sehr spärlich. Kovac kam nach 77 Minuten für Armin Görtz auf den Rasen.

Torjubel im April 2005: Niko Kovac nach seinem Treffer zum 3:1-Endstand gegen den SC Freiburg mit Nando Rafael. Insgesamt erzielte Kovac in 241 Bundesliga-Einsätzen 31 Treffer.
Von der Jugend des SC Rapide Wedding zum Nationaltrainer Kroatiens: Niko Kovac mit seinem Bruder Robert bei der WM 2014 in Brasilien.

Der junge Profi, der natürlich von der Bundesliga träumte, entwickelte sich schnell zu einer Stammkraft und auch zu einem Führungsspieler. Den Respekt der älteren Profis erwarb er sich durch hohe Einsatzbereitschaft, Kampfgeist und natürlich spielerisches Können. Seine Meinung vertrat er stets offensiv. Doch Hertha BSC dümpelte Anfang bis Mitte der 90er Jahre in der 2. Bundesliga vor sich hin, hatte ständig finanzielle Sorgen und damit auch Lizenzprobleme. Immer wieder wurde der Aufstieg versprochen, aber auf dem Weg dorthin von der Vereinsführung ein Fehler nach dem anderen begangen. Niko Kovac, auf den Manager von Erstligaklubs längst ein Auge geworfen hatten, verlor die Geduld. Nach 148 Zweitligaspielen verließ er seinen Heimatklub im Sommer 1996 und wechselte zu Bayer Leverkusen. Die Ablöse betrug umgerechnet 500.000 Euro. Kovac hatte bei Hertha fünf Trainer erlebt: Heine, Stange, Günter Sebert, Uwe Reinders und auch Jürgen Röber.

Bei Bayer begann seine aufregende und erfolgreiche Karriere, die ihn später zum Hamburger SV und zu Bayern München führte. Dann ereilte ihn im Sommer 2003 der Ruf von Hertha-Manager Dieter Hoeneß, der nach erfahrenen Profis suchte und in Kovac und Fredi Bobic auch fand. Noch einmal für drei Jahre und in 75 Erstligaduellen spielte Kovac für Hertha, stritt sich fair oft mit Pal Dardai um den Platz im defensiven Mittelfeld.

Bleibt die Frage: Wird es irgendwann doch noch einmal den Cheftrainer Kovac bei Hertha BSC geben? In absehbarer Zeit sicher nicht, aber im Fußball ist ja alles möglich.

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